Ulrich Plein, Leiter der Geschäftsstelle des Textilsiegels Grüner Knopf, sitzt auf einem Sofa.

Grüner Knopf: „Sogar Fast Fashion kann theoretisch nachhaltig hergestellt werden“

Ende 2019 hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) damit beauftragt, das Textilsiegel „Grüner Knopf“ zu entwickeln. Ulrich Plein setzt als Leiter der Geschäftsstelle die Organisationsarbeit rund um das staatliche Siegel am Textilmarkt für den Siegelgeber um. Im Interview erläutert er die Ziele und Aufgaben hinter der Initiative „Grüner Knopf“.

Herr Plein, seit wann gibt es das Siegel „Grüner Knopf“ und wofür steht es?

Plein: Das Siegel hat der damalige Entwicklungsminister Gerd Müller im September 2019 gegründet. Grundsätzlich geht es bei dem Siegel darum, nachhaltige Textilien ganz einfach erkennbar zu machen und Mensch und Umwelt in der Herstellung von Textilien zu schützen. Uns ist wichtig, dass Nachhaltigkeit in der Textil- und Bekleidungsbranche verschiedene Aspekte hat: zum einen wollen wir, dass die Produktionsbedingungen beim Bleichen und Färben ökologischen Standards entsprechen und Kriterien wie Abwasserreinigung, Mülltrennung, fachliche Entsorgung und adäquaten Umgang mit Chemikalien berücksichtigt werden. 

Zum anderen bedeutet Nachhaltigkeit für uns auch das Erfüllen sozialer Anforderungen in den Konfektionierungsbetrieben, d.h. bessere Arbeitsbedingungen, das Einhalten gesetzlicher Vorgaben in den jeweiligen Produktionsländern, die Verbesserung der Lohnsituation sowie das Verbot von Kinderarbeit in den Konfektionsbetrieben. All diese Maßnahmen zusammengenommen definieren wir als ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Diese aufgezählten Anforderungen werden über den Nachweis von anerkannten und glaubwürdigen Siegeln erfüllt.

Neben diesen siegelbezogenen Anforderungen lassen wir von unabhängigen Zertifizierungsstellen prüfen, ob Unternehmen Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards übernehmen. Dazu gehört beispielsweise, dass das Unternehmen die Risiken, die mit der Produktion einhergehen, analysiert und sich überlegt, wie es diesen entgegenwirken kann. 

Welche Aufgaben erfüllen Sie und Ihre Initiative dabei?

Plein: Wir kümmern uns um die Vorbereitung der Unternehmen für den Lizenzierungsprozess. In der Anlaufphase finanzieren wir auch die erste Prüfung, das sogenannte Erstaudit, und schulen die Zertifizierungsstellen, damit sie wissen, worauf bei der Prüfung zu achten ist. Außerdem kommunizieren wir mit Unternehmen und Verbrauchern und sprechen Unternehmen an, ob sie mitmachen wollen. 

Welche Unternehmen nehmen aktuell am „Grünen Knopf“ teil?

Plein: Wir haben eine breite Spanne dabei - von sehr unterschiedlichen Konzernen und Kleinbetrieben und eine ebenso diverse Palette an Produkten: vom einfachen T-Shirt über Tisch- und Bettwäsche hin zu Rucksäcken und Matratzen. Hauptsache ist, dass die Produkte die sozialen und ökologischen Anforderungen erfüllen sowie dass die Unternehmen selbst Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Dabei sind klassische Nachhaltigkeitsvorreiter als auch große Handelsketten vertreten. Das sieht man auch an der Vielfalt der mitmachenden Unternehmen: Sowohl Discounter wie Aldi, Rewe oder Lidl lassen Produkte zertifizieren als auch Unternehmen wie Hess Natur oder Jack Wolfskin.

Inwiefern kann schnelllebige Einweg-Mode denn nachhaltig sein?

Plein: Den Aspekt von Langlebigkeit bei Mode können wir beim Siegel „Grüner Knopf“ bislang nicht konkret bewerten. Alle unsere Kriterien lassen sich theoretisch auch einhalten, wenn man ökologisch nachhaltige und unter sozialen Aspekten sauber produzierte Textilien schnelllebiger herstellt. Klar ist jedoch auch: Der Fast Fashion Ansatz ist letztlich nicht nachhaltig, weil er dazu führt, dass Kleidungstücke selten getragen und danach weggeschmissen werden. Da wir jedoch nicht beurteilen können, ob ein Kleidungsstück für viele Saisons oder nur für die nächsten vier Wochen produziert wurde, bewerten wir nur die Produktions- und Herstellungsbedingungen nach sozialen und ökologischen Kriterien und die Haltung des Unternehmens dazu. Ein Lösungsansatz könnte hier eine Einverständniserklärung zum Thema unternehmerische Verantwortung sein.

Was unterscheidet den „Grünen Knopf“ von anderen Öko-Marken? 

Plein: Es gibt einige bekannte Unternehmen im Textilsektor, die laut eigenen Angaben ihre Produkte nachhaltig und ökologisch produzieren. Als solche legen sie ihre Kriterien für Nachhaltigkeit selbst fest und versuchen danach zu wirtschaften. Eine externe Überprüfung gibt es meist nicht. Der „Grüne Knopf“ ist jedoch keine Marke, sondern ein Standard, vergleichbar mit z.B. Fair Trade.  Daher haben wir eine Reihe staatlich festgelegter, unterschiedlicher Kriterien, die extern geprüft werden. Marken und Standards können grundsätzlich nicht miteinander konkurrieren.

Was macht aus Ihrer Sicht das Besondere am Siegel Grüner Knopf aus? 

Plein: Das Besondere ist nicht nur, dass wir Umwelt- und Sozialkriterien für Produkte miteinander verbinden, sondern auch, dass wir gleich in zweifacher Hinsicht prüfen – und zwar das Unternehmen an sich, das die Kleidung auf den Markt und in den Verkehr bringt, aber auch die Einhaltung von bestimmten Kriterien an das Produkt. Nur wenn beides erfüllt ist, kommt das Siegel „Grüner Knopf“ darauf. Das ist in dieser Form bislang einzigartig. 

Bei den Produktkriterien, die wir entwickelt haben, bauen wir auf bestehenden Siegeln auf. Ein solches Meta-Prinzip vereinfacht insofern, als wir zwar eigene Kriterien entwickelt haben, diese aber nicht in den Unternehmen im Produktionsbetrieb abprüfen müssen, weil wir uns auf relevante Siegel, die unsere Kriterien einhalten, verlassen. Solche sind z.B. OEKO-TEX Made in Green, der Fairtrade-Textilstandard, u.a. Kann ein Unternehmen nachweisen, dass Produkte bereits über einen Nachweis wie z.B. OEKO-TEX Made in Green verfügen, wissen wir, dass bestimmte Kriterien eingehalten sind. 

Natürlich kommt noch die relativ aufwändige Unternehmensprüfung hinzu, in der Unternehmen nachweisen, dass sie den Sorgfaltspflichten in ihren textilen Lieferketten nachkommen und die von externen zugelassenen Zertifizierungsstellen abgenommen wird. Nur wenn beides erfüllt ist, das Produktsiegel vorhanden ist und die Unternehmensprüfung positiv ausfällt, kann der „Grüne Knopf“ an den jeweiligen Produkten angebracht werden.

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Welche Kriterien für Umweltfreundlichkeit verlangt das Siegel?

Plein: Jede Menge. Das Siegel wurde in den letzten zwei Jahren überarbeitet, dabei wurden die Anforderungen an die Produktionsprozesse auf eine weitere Lieferkettenstufe ausgeweitet: Die Rohstoffgewinnung. Wir stellen bestimmte Anforderungen an die Rohstoffe und fragen z.B. Wo kommt die Baumwolle her? Was für eine Baumwolle ist es und wie wird sie angebaut? Das gängigste, klassische Umweltkriterium sind z.B. Bio-Baumwollfasern. Baumwollfasern aus genetisch verändertem Saatgut werden nicht anerkannt. Setzt jemand solche Baumwolle ein, kann das entsprechende Produkt nicht mit dem Grünen Knopf zertifiziert werden. Ein weiteres Beispiel ist die Einhaltung von gängigen Vorgaben beim Einsatz von Chemikalien beim Bleichen und Färben der Textilien.

Wie sehen die Kriterien für soziale Standards aus?

Plein: Eines unserer Ziele ist es Arbeits- und Sozialbedingungen in der Textilproduktion zu verbessern. Ein Beispiel dafür ist das Thema Löhne: Alle wissen, dass die Textilbranche häufig schlechte Löhne zahlt, von denen sich teils keine Familie ernähren lässt. Wir möchten, dass die Unternehmen sich Gedanken machen, welchen Beitrag sie leisten können, damit sich hier etwas ändert. Zuerst brauchen wir deshalb eine Analyse der an den Produktionsstandorten gezahlten Löhne im Vergleich zu den Löhnen, die man für eine Existenzsicherung in den entsprechenden Ländern braucht. Diese fordern wir in unseren Kriterien im Grünen Knopf 2.0. Auf dieser Basis müssen Unternehmen dann perspektivisch Maßnahmen entwickeln, die helfen, die große Lücke zwischen den gezahlten und benötigten Löhnen zu verringern. Die Umsetzung dieser Maßnahmen müssen die Unternehmen nachhalten.

Legt das Siegel auch die Höhe der zu zahlenden Löhne fest?

Plein: Nein. Dazu machen wir keine festen Vorschriften, allerdings fordern wir von den Unternehmen in der Prüfung zum Grünen Knopf 2.0, dass sie dieses Gefälle analysieren. Die Unternehmen entscheiden selbst auf Basis dieser sogenannten Lohnlückenanalyse, welche Maßnahmen zur Zahlung von existenzsichernden Löhnen sie treffen. Im Folgejahr müssen sie aufzeigen, was unternommen wurde und ob ihre Schritte erfolgreich waren. Das wird bewertet und daraufhin der „Grüne Knopf“ vergeben. Konkrete landesspezifische Mindestlohnvorgaben, die wir vorgeben würden, sind mit Blick auf Währungsumrechnung und unmittelbare Realisierbarkeit auch nicht umsetzbar. Als freiwilliger Standard ohne Möglichkeit, Druck auszuüben, fordern wir also vielmehr eine Umstellung des Prozesses und zeichnen diejenigen Unternehmen aus, die vorbildlich zeigen, was getan werden kann. 

Was müssen Hersteller tun, um eine Lizenzierung erfolgreich zu durchlaufen? 

Plein: Zu Beginn steht die Unternehmensprüfung. Dafür geben die Unternehmen eine Selbstverpflichtungserklärung ab, in der sie sich dazu bekennen, Verantwortung für ihre Lieferketten zu übernehmen, nachhaltig produzieren zu wollen und sich dafür einzusetzen, soziale und ökologische Belange in der Lieferkette ausreichend zu berücksichtigen. Zudem braucht es eine Risikoanalyse von den Produktionsstandorten. Es kann z.B. sein, dass ein Unternehmen mit drei Standorten an einem Standort noch das Risiko Kinderarbeit prüfen muss, an einem weiteren möglicherweise die Erlaubnis, Gewerkschaften zu gründen und sich für Arbeitnehmerrechte einzusetzen. Auf dieser Basis gewichten sie ihre Risiken und erstellen einen Maßnahmenkatalog, der dazu beitragen soll, diese Risiken zu minimieren. Nach Kommunikation der Maßnahmen durch das Unternehmen nach außen, werden Umsetzung jährlich von externen Auditoren überprüft. 

Sind außerdem Produktkriterien zu erfüllen?

Plein: Ja. Hersteller müssen angeben, welches Produkt ausgelobt werden soll. Das geht nicht pauschal für alle Produkte. Soll beispielsweise ein bestimmtes Kleidungsstück gekennzeichnet werden, prüfen wir produktspezifisch, ob entsprechende Siegel vorhanden sind. Erst dann können Produkte den „Grüner Knopf“ tragen. 

Wie gut ist das Siegel am deutschen Markt und unter Verbrauchern etabliert?

Plein: Unser Eindruck ist: Der Grüne Knopf ist sehr stark am Markt angekommen. Wir haben mit 27 Unternehmen angefangen und zählen inzwischen 91 zertifizierte Unternehmen. Das ist eine bemerkenswerte Steigerung in nur drei Jahren – besonders, wenn man bedenkt, wie schnell sich der Bekanntheitsgrad entwickelt hat: 2021 kannten 40 Prozent der Verbraucher und Verbraucherinnen den „Grünen Knopf“, 2022 sogar bereits 44 Prozent, laut unseren jährlichen Umfragen. Bislang wurden 200 Mio. Einzelprodukte mit unserem Siegel verkauft. Zwar ist das noch im einstelligen Bereich dessen, was in Deutschland an Textilien und Bekleidung vermarktet wird, jedoch auch eine beachtliche Zahl, die zeigt, dass immer mehr Unternehmen mitmachen und Verbraucher den Grünen Knopf zunehmend kennen. 

Seit dem Start im September 2019 arbeiten wir auch an der Weiterentwicklung des Labels. Im August 2022 launchten wir dann den „Grünen Knopf 2.0“, nach dessen Akkreditierung wir dann seit August dieses Jahres auch zertifizieren können. Hersteller, die bei uns aktiv sind oder es noch werden wollen, können sich einen Antrag auf Zertifizierung stellen.

Womit hebt sich der Grüne Knopf 2.0 vom bisherigen Siegel ab?

Plein: Wir gehen mit dem Upgrade tiefer in die Lieferkette und berücksichtigen jetzt bei den produktbezogenen Anforderungen z.B. weitere Schritte wie die Faserproduktion. Spinnen und Weben bilden wir noch nicht ab. Mit dem Grünen Knopf 2.0 müssen Unternehmen auch noch stärker Verantwortung für die Herstellungsbedingungen übernehmen und sich intensiver mit Themen wie Lohnanpassung und der Einführung von Beschwerdesystemen befassen. 

Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft? 

Plein: Natürlich wollen wir in dem Marktsegment, in dem unser Label noch nicht angekommen ist, so viele Betriebe wie möglich dafür gewinnen, beim Grünen Knopf mitzumachen. Wir wissen aber auch: er ist nur ein Element von mehreren Instrumenten ist, die den Smart Mix ausmachen. Auch andere Unternehmen, Organisationen und Zivilgesellschaften, wie z.B. das Textilbündnis, setzen gemeinschaftlich Pilotprojekte zur Nachhaltigkeit um und demonstrieren, was veränderbar wäre, z.B. beim Umgang mit Chemikalien oder auch beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das 2023 in Kraft tritt. 

Was stellt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sicher?

Plein: Es steckt gesetzlich den Rahmen für mehr Nachhaltigkeit und hat zum Ziel grundlegende Menschenrechte in den Lieferketten zu schützen. Es greift im Jahr 2023 für Unternehmen mit einer Größe von mehr als 3000 Mitarbeitenden und ab dem Jahr 2024 für Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitenden. Der Grüne Knopf geht in einigen Stellen über das Lieferkettensorgfaltspflichten hinaus. Zusätzlich können Verbraucher somit verstärkt auf nachhaltige Produkte achten und durch ihren bewussten Einkauf einen Beitrag für das Wohlergehen in den Partnerländern leisten. Zudem wurden zwischen der Bundesregierung und den einzelnen Partnerländern bilaterale Projekte vor Ort vereinbart.

Was wünschen Sie sich noch von der deutschen Politik?

Plein: Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Der „Grüne Knopf“ hat seit seinem Start schon viel erreicht. Meine einzige Bitte an die Politik ist: Weitermachen! Es lohnt sich. An die Verbraucher möchte ich appellieren, noch mehr auf die Produkte mit dem „Grünen Knopf“ zu achten und dies öfter zur Kaufentscheidung zu machen. Die Vielfalt der zertifizierten Produkte wächst und der „Grüne Knopf“ ist ein Siegel, das wie kein Anderes für unternehmerische Sorgfalt und nachhaltige Produktion steht. 

Auf welches jüngste Erfolgsprojekt blicken Sie zurück? 

Plein: Neben den hohen Absatzzahlen wird vor allem die Rolle, die das Siegel zunehmend bei der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung spielt, größer. Da werden große Stückzahlen eingekauft. Wir konnten den „Grünen Knopf“ hier zuletzt in einigen relevanten Bereichen platzieren, so z.B. bei der Deutschen Bahn, die ihre 43.000 Mitarbeiter zu Teilen mit zertifizierter Arbeitskleidung ausstaffiert hat. Auch große Hotelketten machen mit und verwenden z.B. zertifizierte Bettwäsche und Handtücher. Diese Erfolge sind wichtige Anfänge und haben weitreichende Wirkung.

Zum Abschluss: Welche Vision haben Sie für Ihr Siegel?

Plein: Für die Zukunft ist uns wichtig, dass wir internationaler werden. Wir sind zwar bereits als „green button“ eine eingetragene Marke der EU, doch bislang kommen mehr als 90 Prozent der Unternehmen aus Deutschland. Deshalb müssen und wollen wir noch mehr nach Europa ausstrahlen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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